




s ist nicht möglich, den gegenwärtigen Stand der Menschenrechte und des sozialen Wandels in der Islamischen Republik Iran angemessen zu verstehen, ohne dabei den historischen Hintergrund der Verfolgungen der Bahá’í-Gemeinde zu berücksichtigen. Diese Geschichte trägt einiges zum Verstehen der kulturellen Krise bei, die die iranische Gesellschaft heute befallen hat, während ihre Führung damit ringt, den Herausforderungen der Moderne zu begegnen.
Der Gedanke, dass es göttliche Gesandte nach Muhammad geben soll, wird von vielen Muslimen als Häresie angesehen – dies ist eine der tieferen theologischen Gründe für die Verfolgung der Bahá’í.
Die Bahá’í-Religion hat im Iran seit ihrer Gründung in der Mitte des 19. Jahrhunderts Verfolgungen erlitten. Die ersten Gläubigen sahen sich sowohl seitens der islamischen Obrigkeit als auch aufeinander folgender Dynastien gewaltigem Widerstand gegenüber. Man kann davon ausgehen, dass etwa 20.000 Menschen während der Pogrome im 19. Jahrhundert umgekommen sind.
Die Verfolgungswellen setzten sich im 20. Jahrhundert periodisch fort, meist zeitgleich mit dem Bedarf der Regierung, die Unterstützung gewisser Elemente der islamischen Führung zu gewinnen. Diese Verfolgungen erfolgten ungeachtet der politischen Ausrichtung der jeweiligen Regierung.
Einige der Gewaltakte gegen die Bahá’í wurden von lokalen oder regionalen Behörden des Landes geleitet. So wurden im Jahr 1903 beispielsweise 101 Bahá’í in der Stadt Yazd getötet, nachdem die Bevölkerung von feindseligen Mullahs aufgehetzt worden war. Zu anderen Zeiten wurde die Unterdrückung der Bahá’í Teil der offiziellen Doktrin der Innenpolitik. In den ersten Jahren des Pahlavi-Regimes (1927-1979) verabschiedete die Regierung als Zugeständnis an den klerikalen Stand eine Strategie der Diskriminierung gegen die Bahá’í. Beginnend mit dem Jahr 1933 wurden Bahá’í-Literatur verboten und Eheschließungen der Bahá’í nicht anerkannt, während Bahá’í im öffentlichen Dienst zurückgestuft oder entlassen wurden. Schließlich wurden auch Schulen der Bahá’í geschlossen.
Eine weitere Welle von Verfolgungen begann 1955, als das Regime der Pahlavis den nationalen Rundfunkanstalten erlaubte, eine Reihe von aufwieglerischen Hetzpredigten gegen die Bahá’í auszustrahlen, die von einem führenden schiitischen Prediger in Teheran gehalten wurden. Augenscheinlich bestand die Absicht darin, die Bahá’í zu Sündenböcken zu machen, um von der unpopulären Politik der Regierung abzulenken. Sowohl die zivilen als auch die militärischen Radiostationen wurden der Verfügungsgewalt des verantwortlichen Klerikers, Sheikh Muhammad Taqi Falsafi, unterstellt, der gemeinsam mit dem Verteidigungsminister des Schahs, General Batmangelich, das Kuppelgewölbe des nationalen Gemeindezentrums der Bahá’í mit Spitzhacken zerschlug. Eine Welle der Gewalt gegen die Bahá’í durchzog das Land. Morde, Vergewaltigungen und Raubüberfälle wurden aus vielen Gegenden berichtet, während die Regierung dem iranischen Parlament, der Majlis, versicherte, dass sie es war, die die Unterdrückung jeglicher Aktivitäten der „Bahá’í-Sekte“ angeordnet hatte.
Aus Sicht der Bahá’í zeigen sich in diesem Verfolgungsmuster die Missverständnisse und Ängste, die meist dann aufkommen, wenn eine neue Religion aus der Matrix einer fest etablierten Orthodoxie hervortritt. Dieses Muster hat sich im Laufe der Zeitalter stets wiederholt. Geradezu alle großen Religionen der Welt waren zu ihrer Geburtsstunde heftigen Angriffen ausgesetzt.
Im Falle der Bahá’í-Religion sind die Lehren ihrer zwei Stiftergestalten - besonders aus dem Blickwinkel des traditionellen Islam betrachtet – so herausfordernd für die religiöse Orthodoxie wie es einst die Lehren vergangener prophetischer Gestalten waren.
Die erste Welle der Verfolgung entstand als Reaktion auf den Anspruch eines jungen persischen Kaufmanns, der in die Geschichte als der Báb eingegangen ist. Im Mai des Jahres 1844 verkündete Er in Schiraz, dass Er der Träger einer neuen göttlichen Offenbarung ist. Seine primäre Aufgabe, so sagte der Báb, sei es, die Menschheit auf die Ankunft desjenigen vorzubereiten, „Den Gott Offenbaren wird“, eines universellen, göttlichen Boten, der in den Schriften aller großen Religionen vorhergesagt worden war.
Die Lehren des Báb verlangten nach einer geistigen und moralischen Reformierung der persischen Gesellschaft und forderten die Verbesserung der Stellung der Frauen und der Lage der Bedürftigen. Revolutionär war auch Sein Eintreten für Bildung sowie Wissenschaften, die der Gesellschaft Nutzen bringen sollten.Diese fortschrittlichen und idealistischen Lehren, die einen klaren Bruch mit dem islamischen Umfeld darstellten, wurden schnell von Tausenden Anhängern angenommen und von den säkularen wie religiösen Autoritäten als eine Bedrohung ihrer eigenen Macht angesehen. Ausgedehnte Verfolgungen folgten daraufhin. Wie zuvor erwähnt, mussten mehrere Tausende, die als Bábí bekannt waren, mit ihrem Leben bezahlen. Der Báb selbst wurde 1850 von der Regierung hingerichtet.
Unter den Anhängern des Báb befand sich ein persischer Adeliger mit dem Namen Bahá’u’lláh. Im Jahre 1863 gab Er bekannt, dass Er der Bote ist, den der Báb angekündigt hatte. Er ist der Stifter der Bahá’í-Religion. Zentrales Thema der Botschaft Bahá’u’lláhs ist, dass die Menschheit eine einzige Familie ist und dass der Tag der Vereinigung zu einer globalen Gesellschaft nun gekommen sei. „Die Erde ist nur ein Land, und alle Menschen sind seine Bürger“, schrieb Bahá’u’lláh.
Bahá’u’lláh lehrte, dass es nur einen Gott gibt und dass alle Religionen
der Welt Ausdruck eines einzigen, sich entfaltenden göttlichen Planes sind, „der
unveränderliche Glaube Gottes, ewig in der Vergangenheit, ewig in der Zukunft“.
Bahá’í glauben, dass Gott der Menschheit religiöse Wahrheit fortschreitend,
durch eine Abfolge von göttlichen Sendboten offenbart. Ein jeder von Ihnen
hat eine große Religion begründet. Zu diesen Boten gehörten Abraham, Krishna,
Zarathustra, Moses, Buddha, Jesus und Muhammad; zuletzt erschienen der Báb
und Bahá’ú’lláh. Weitere werden in künftigen Zeitaltern folgen.
Der Gedanke, dass es göttliche Gesandte nach Muhammad geben soll, wird von vielen Muslimen als Häresie angesehen. Im Qur’an, bezeichnet Muhammad sich Selbst als das „Siegel der Propheten“, und die meisten muslimischen Gelehrten interpretieren dies dergestalt, dass Er der letzte Bote Gottes sei.
Bahá’í glauben hingegen, dass das Kommen des Báb und Bahá’u’lláhs weder einen Widerspruch zu den islamischen Lehren noch zu den Lehren anderer Offenbarungsreligionen darstellt. Im Verständnis der Bahá’í beendete oder „besiegelte“ Muhammad einen prophetischen Zyklus. Hiernach begann durch die Ankunft des Báb und Bahá’u’lláhs eine neue Ära religiöser Erfüllung. Bahá’u’lláh bezeichnet diese neue Periode der Menschheitsgeschichte als „Stufe der Reife“. Bahá’í glauben, dass sich dies alles in Übereinstimmung mit den Prophezeiungen des Islam und anderer großer Weltreligionen befindet.
Die Verfolgung der Bahá’í im Iran hat weder etwas mit einer ihr zugrunde liegenden ethnischen Fragestellung noch mit einer politischen Agenda zu tun. Die überwältigende Mehrheit der iranischen Bahá’í stammt von denselben diversen ethnischen Hintergründen ab wie die übrige Bevölkerung und repräsentiert einen Querschnitt der sozialen Schichten Irans.
Auch andere Aspekte der Bahá’í-Lehren rufen Gegnerschaft unter manchen Anhängern des Islam hervor. Indem Bahá’u’lláh Seine Vision einer neuen Weltzivilisation darlegte, trat Er für eine Reihe von höchst fortschrittlichen sozialen Prinzipien ein. Diese umfassen die Aufhebung von Vorurteilen jeglicher Art, die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Anerkennung der wesenhaften Einheit der großen Weltreligionen, die Beseitigung der Extreme von Reichtum und Armut, universelle Bildung, Harmonie zwischen Religion und Wissenschaft, ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen der menschlichen Gesellschaft und Umwelt und Natur, sowie die Begründung eines weltweiten föderalen Systems, basierend auf kollektiver Sicherheit und der Einheit der Menschheit.
Manche fundamentalistischen Muslime betrachten die Fortschrittlichkeit dieser Lehren, wie etwa die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau oder die Abwesenheit eines religiösen Klerus, als besonders unvereinbar mit den Traditionen des Islam. Insbesondere für das schiitische Establishment Irans - und in der Tat auch für viele auf der sunnitischen Seite – stellt das Hervortreten einer unabhängigen Religion, die nahezu dreizehn Jahrhunderte nach dem Qur’an erscheint, nicht nur eine theologische Abscheulichkeit dar, sondern eine Gefahr für das System der Patronage, der Zuwendungen und Stiftungen, der politischen Einflussnahme und der sozialen Vorrechte, die es für sich in Anspruch nimmt. Daher entstand im schiitischen Establishment eine feste Entschlossenheit, diesen neuen Glauben zu ersticken und seine Anhänger zu unterdrücken.
Die Verfolgung der Bahá’í im Iran hat weder etwas mit einer ihr zugrunde liegenden ethnischen Fragestellung noch mit einer politischen Agenda zu tun. Die überwältigende Mehrheit der iranischen Bahá’í stammt von denselben diversen ethnischen Hintergründen ab wie die übrige Bevölkerung und repräsentiert einen Querschnitt der sozialen Schichten Irans.
Einzig ihre religiösen Glaubensgrundsätze unterscheiden sie von ihren Mitbürgern – Grundsätze, welche sie gemäß der Bahá’í-Lehren anderen nicht aufzwingen dürfen. Paradoxerweise bleibt auf Grund der Kontrolle, die vom islamischen Klerus über die Kommunikationsmedien ausgeübt wird, das wahre Wesen der Bahá’í-Lehren für die Öffentlichkeit nahezu unbekannt. So wurde sie systematisch dazu erzogen, die Bahá’í zu fürchten und zu hassen.
Der iranischen Bahá’í-Gemeinde wurde der Gebrauch jeglicher Mittel der Massenkommunikation beständig verweigert, ob Radio, Fernsehen, Zeitungen, Filme, die Verbreitung von Literatur oder etwa öffentliche Vorträge. Das Resultat hieraus sind weit verbreitete und haltlose Vorurteile.