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Die Bahá’í-Gemeinde im Iran nimmt Stellung

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m November 2004 richtete die Bahá’í-Gemeinde im Iran einen Offenen Brief an den iranischen Präsidenten Mohammed Khatami. Darin spricht sie insbesondere das Doppelspiel der iranischen Regierung an, den Bahá’í-Jugendlichen einerseits den Zugang zu den Universitäten anzubieten, sie dann aber fälschlich als Muslime zu registrieren, womit sie de facto von der Hochschulbildung ausgeschlossen werden. Der Offene Brief geht außerdem auf die Art und Weise der Verfolgungen ein, denen die Bahá’í im Iran seit über 25 Jahren ausgesetzt sind, und weist darauf hin, dass solche Unterdrückung nicht allein durch das Völkerrecht verurteilt wird, sondern ebenso durch den Koran und das islamische Recht. Im Folgenden werden Auszüge aus dem Offenen Brief wiedergegeben:


15. November 2004

Dem geschätzten Präsidenten der Islamischen Republik Iran, Herrn Khatami

Seit über 161 Jahren werden die Bahá’í in dem heiligen Land Iran – dem Geburtsland ihrer Vorfahren, deren Namen sie sich rühmen – einer Serie von Missbrauch, Folter, Mord und Massakern ausgesetzt und haben unzählige Formen von Verfolgung, Tragödien und Entsagungen aus keinem anderen Grund als ihrem Glauben an Gott und der Befolgung ihrer Religion, der größten religiösen Minderheit im Iran, ertragen. Entgegen aller religiösen, rechtlichen und moralischen Maßstäbe und unterstützt durch vorhandene offizielle Schriftstücke, waren sie individuell und kollektiv die Opfer ungerechtfertigter Diskriminierung und vielfältiger Ungerechtigkeit. Jedes Mal, wenn sich in diesem Land ein politischer oder sozialer Aufruhr erhob, wurden neue Machenschaften gegen diese religiöse Minderheit ersonnen und ihre unveräußerlichen Rechte auf die eine oder andere Weise verletzt.

Tag für Tag wurde der Druck gegen diese unterdrückte Gemeinde stärker und das Ausmaß der Ungerechtigkeit und Verletzung ihrer Rechte in vielen Bereichen ihres Lebens wurde offensichtlich, in dem ihr Besitz, ihr Heim, ihre Arbeit und ihre bloße Existenz zur Zielscheibe von Angriffen wurden.

Aus Sicht der heiligen Religion des Islam sind die Menschen frei, ihre Religion auszuwählen und zu befolgen und niemand hat das Recht, einem anderen seine Religion aufzuzwingen. Die folgenden erhabenen Verse „Es soll kein Zwang sein im Glauben…“2 und „Euch euer Glaube, und mir mein Glaube“3 bestätigen diesen Punkt. Aus Sicht der heiligen Religion des Islam hat niemand das Recht, den Besitz, das Leben und die Würde jener anzugreifen und zu verletzen, die unter dem Banner dieser Religion leben, welche gesichert und beschützt werden muss: „…wenn jemand einen Menschen tötet – es sei denn für (Mord) an einem anderen oder für Gewalttat im Land –, so soll es sein, als hätte er die ganze Menschheit getötet…“4.

Die Gleichberechtigung, die Freiheit und die unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Menschheitsfamilie, ohne Unterscheidung nach Rasse, Geschlecht, Sprache und Religion, wurden eindeutig in allen internationalen Verträgen festgelegt, insbesondere in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. 

Unter dem Vorzeichen der Kulturellen Revolution entschieden die Behörden des Ministeriums für Kultur und Erziehung, Bahá’í-Studenten, von denen einige vor dem Abschluss ihres letzten Semesters standen, aus den Universitäten und anderen höheren Bildungseinrichtungen, in denen sie studierten, auszuschließen. Anderen wurde ausschließlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Bahá’í-Religion der Zugang zu diesen Bildungseinrichtungen verwehrt. Schließlich hat 1369 [1990/1991] der Rat der Kulturellen Revolution, mit Bezug auf ein genau geplantes Programm, Bahá’í-Jugendliche offen von der Hochschulbildung ausgeschlossen und dadurch einer Anzahl von Jugendlichen dieses Landes die Möglichkeit verwehrt, ihre Fähigkeiten zu entfalten. Diese Situation hielt etwa 20 Jahre an, bis in Adhar 1382 [Dezember 2003] „Peykesanjesh“ (die Informationsschrift des Ministeriums für Wissenschaften) offiziell mitteilte, dass zum ersten Mal die religiöse Zugehörigkeit der Anwärter nicht in den Antragsformularen für nationale [Universitäts-] Examen aufgeführt sei und stattdessen die Antragssteller das Themengebiet religiöser Studien, in denen sie geprüft werden möchten, auswählen könnten. In Anbetracht der Beschränkungen gemäß Artikel 13 der Verfassung haben die Bahá’í notwendigerweise islamische Studien für diese Prüfung ausgewählt.

Nachdem sie ihre Identifikations-Karten für die Zulassung erhalten und daraufhin an den nationalen Prüfungen teilgenommen hatten, war der Erfolg der Bahá’í-Jugendlichen, gemäß den staatlichen Aushängen der Ergebnisse der ersten Phase dahingehend signifikant, dass sich ca. 800 Studenten qualifiziert hatten, ihre Studiengebiete auszuwählen, wobei Hunderte von ihnen Listenplätze im ein- bis vierstelligen Bereich einnahmen auf einer Bewertungsskala, die bis 200.000 reicht. Aber nachdem sie die Formulare ihrer Prüfungsergebnisse erhielten, stellten die Bahá’í-Studienbewerber überrascht fest, dass ihre Religionszugehörigkeit mit Islam angegeben war. Diese Doppelzüngigkeit verblüffte die Bahá’í-Gemeinde. Leider war die freudige Nachricht, dass die Frage nach der Religion der Studienbewerber von den nationalen Universitäts-Zulassungsprüfungen gestrichen worden war – ein Ausdruck der Freiheit des Glaubens und ein Zeichen dafür, dass sich die Regierung der Islamischen Republik Iran auf dem Weg zur Errichtung der Grundlagen der Menschenrechte und der Beseitigung von Diskriminierung im Bildungswesen befände –, nur von kurzer Dauer.

Die Bahá’í-Studenten, deren erfolgreiche Absolvierung der Zulassungsprüfungen der ersten Phase veröffentlicht worden war, lehnten es ab, ihr Studiengebiet auszuwählen und die Universität zu besuchen, da die Annahme der falschen Information über ihre Religionszugehörigkeit auf den Ergebnisbögen einem Widerruf ihres Glaubens gleichgekommen wäre. Stattdessen haben sie sich, gemäß der Vorgehensweise in der Bahá’í-Gemeinde, entschlossen, in Protestbriefen bei den zuständigen Behörden Beschwerde einzulegen. Nachdem sie diese Briefe erhalten hatten, haben Vertreter der Organisation für Bildungsmessung und -bewertung (EMEO) eine Handvoll Studenten angerufen und sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihre Beschwerden berücksichtigt worden seien und der Bezug auf die Religionszugehörigkeit von ihren Prüfungsergebnis-Formularen entfernt worden wäre. Die Behörden baten sie, die anderen Bahá’í-Studenten über dieses Vorgehen zu unterrichten und aufzufordern, in die EMEO-Büros zu kommen, damit ihre Prüfungsergebnis-Formulare korrigiert würden und sie ihre Studiengebiete auswählten. Ein neuer Funke der Hoffnung wurde dadurch in den Herzen der Bahá’í-Jugendlichen entfacht, die sich umgehend aufmachten die Behörden aufzusuchen, um ihr Studiengebiet auszuwählen. Wiederum musste mit großem Bedauern festgestellt werden, dass in der Bekanntmachung der Bewerber, die erfolgreich abgeschnitten hatten, nur eine Handvoll Bahá’í für das Fachgebiet der englischen Sprache angenommen worden waren, ein Schritt, der scheinbar als bewusster Schachzug zur Besänftigung der internationalen Gemeinschaft getan wurde, während vielfältige unstrittige Nachweise belegen, dass die meisten Bahá’í-Bewerber, welche anerkanntermaßen die nationalen Zulassungsprüfungen bestanden hatten, an Universitäten im Iran hätten angenommen werden müssen.

Fragen beschäftigen weiterhin die Gemüter der Mitglieder der Bahá’í-Gemeinde im Iran und in der ganzen Welt sowie von freien Denkern und Verfechtern der Menschenrechte: Entsprechen solch unfaire Entscheidungen, ein derartiger Rückzug auf Strategien, deren Richtung offensichtlich und deren Ziel die Erzeugung von Vorurteilen und die Verletzung der unbestreitbaren Rechte einer Gemeinde sind, den Maßstäben von Gerechtigkeit und Gleichheit? Sollten jene, die den Fortschritt suchen, von dem Erwerb von Wissen ausgeschlossen werden und aufgrund ihres religiösen Glaubens der Möglichkeit beraubt sein, ihre gottgegebenen Fähigkeiten zu entfalten?

Mittlerweile ist ein viertel Jahrhundert unter der Führung der islamischen Regierung verstrichen. Jeden Akt der Ungerechtigkeit haben die Bahá’í mit Großmut beantwortet. Im Angesicht weit verbreiteter und schwerer Verfolgungen und vielschichtiger Ungerechtigkeiten sind die Bahá’í niemals, nicht einmal um eine Haaresbreite, vom geraden göttlichen Pfad abgewichen, und sie halten weiter fest am Saum der Geduld und Toleranz, wie es ihnen von ihrer Religion und ihrem Glauben vorgeschrieben wird.

Die Hoffnung bleibt, dass [Ihre geschätzte Amtsgewalt], gemäß der Verfassung, umgehend Schritte einleiten wird, um die Gleichstellung der iranischen Bahá’í-Gemeinde sicher zu stellen, ihre Menschenrechte wieder einzusetzen und die Privilegien, derer sie beraubt wurde, wieder herzustellen.

Hochachtungsvoll,
Die iranische Bahá’í-Gemeinde

 

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